Insolvenz als Chance erkennen - Rechtsanwalt Ingo Grünewald zu den Folgen von Corona für die Wirtschaft

    BAD KREUZNACH. Mehr als jeder zehnte Mittelständler ist nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) durch die Corona-Krise von einer Pleite bedroht. "Besorgniserregend ist dabei nicht nur die absolute Zahl der befürchteten Pleiten, sondern die rasante Zunahme der konkreten Insolvenzsorgen innerhalb von nicht einmal drei Wochen", warnte DIHK- Präsident Eric Schweitzer. Diese Zeitung (Allgemeine Zeitung Bad Kreuznach) fragte den Bad Kreuznacher Fachanwalt für Insolvenzrecht Ingo Grünewald (41), wie er vor dem Hintergrund der Corona-Krise die Zukunft von Kleinunternehmen und Mittelständlern in der Rhein-Nahe-Hunsrück-Region bewertet.

    Wie bewerten Sie die Einschätzung des DIHK, dass infolge von Corona mehr als jeder zehnte Mittelständler von einer Pleite bedroht ist?
    Mir gefällt das Wort „Pleite“ nicht. Damit verbindet man Misserfolg, Niederlage, oder den unweigerlichen Niedergang eines Unternehmens. Mitnichten sind Unternehmer per se für eine wirtschaftliche Krise verantwortlich; die ein oder andere Unternehmenskrise fällt halt ohne Vorwarnung vom Himmel. Gefragt ist ein nüchterner Blick auf die Situation. Dazu gehört auch abzuwägen, welche Vor- und Nachteile die Einleitung eines Insolvenzverfahrens mit sich bringt. Die Insolvenz muss als strategische Option in der Krise erkannt werden. Der größte Fehler ist, den Kopf in den Sand zu stecken. Am Ende ist eine unternehmerische Entscheidung der Geschäftsleitung gefragt.

    Welche Vorteile kann ein Insolvenzverfahren mit sich bringen?
    Es gibt viele. Die Insolvenzordnung verkörpert das Insolvenzrecht. Wenn ich hier von „Recht“ spreche, meine ich auch und gerade das Recht des betroffenen Unternehmers, sich auf die Insolvenzordnung zu berufen. Nur zwei Bespiele: Mit Antragstellung geht eine vorläufige Insolvenz einher. Damit tritt zunächst ein Zahlungsstopp ein, was dem Unternehmen eine Ruhepause und Liquidität verschafft. Hiervon erfasst ist auch ein Stopp von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.
    Entscheidend ist weiterhin, dass die Arbeitnehmer für den Zeitraum von bis zu drei Monaten Anspruch auf Insolvenzgeld haben, was dem Unternehmen nochmals Liquidität verschafft. Die Arbeitnehmer erhalten den vollen Lohn durch die Agentur für Arbeit und können zur Aufrechterhaltung des Betriebes beitragen. Diese Situation ist also eine andere, als wenn nur Kurzarbeitergeld ausbezahlt wird. Wenn dann das Unternehmen operativ schwarze Zahlen schreibt, wird sich in der Regel eine zukunftsfähige Lösung finden lassen. Unterstellen will ich an dieser Stelle, dass die Auswirkungen der Corona Epidemie nachlassen oder nach zwei, drei Monaten beendet sind. Lassen sie uns insoweit mal guter Dinge sein.

    Sind die Soforthilfen, die Bund und Land für Selbstständige, Kleinbetriebe und mittelständische Unternehmen aufgelegt haben, ausreichend dimensioniert?
    Die Frage kann man nicht generell beantworten. Man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen. Soweit es um die Aufnahme von Krediten geht, muss man die künftige Kapitaldienstfähigkeit als gegeben ansehen. Man sollte keinesfalls gutes Geld schlechtem hinterherwerfen.

    Was könnten die Hausbanken tun, um ihren Kunden, die wegen der Corona-Folgen existenzbedroht sind, zu helfen?
    Ich glaube, die Hausbanken sind bestrebt, Ihren Kunden bestmöglich zu helfen. Viele Banken setzen Tilgungsleistungen bis auf weiteres aus und unterstützen bei den Antragstellungen. Glücklich schätzen darf sich der Bankkunde, der einen regionalen Ansprechpartner hat.
    In einem Punkt bin ich mir jedoch sicher. Unternehmen, die bereits vor Corona angeschlagen waren, werden keine Vorteile aus den Soforthilfen ziehen können.

    (Das Interview führte Norbert Krupp)

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