Wie kommen die regionalen Unternehmen aus der Krise? - Thomas B. Schmidt im Interview mit TV-Redakteur Heribert Waschbüsch

    Noch kein Anschwellen bei den Insolvenzen

    Von TV-Redakteur Heribert Waschbüsch

    Wie verkraftet die Wirtschaft die monatelange Pandemie? Wie sehr sind Unternehmen von Insolvenz bedroht und worauf müssen sie achten? Darüber hat TV-Redakteur Heribert Waschbüsch mit dem Insolvenzexperten Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt gesprochen.

    Seit 1. Mai gilt wieder die vollständige Insolvenzantragspflicht für Unternehmen. Haben Sie inzwischen vermehrte Anfragen von Unternehmen bekommen oder gar ein Anschwellen der Insolvenzen festgestellt?

    Prof. Schmidt: Vermehrte Anfragen und eine anschwellende Zahl von Insolvenzanträgen kann ich derzeit nicht feststellen.

    Im vergangenen Jahr hatten wir die niedrigste Zahl an Insolvenzen seit Einführung der Insolvenzordnung 1999. Welchen Anteil daran haben die direkten Hilfen des Staates, was ist auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zurückzuführen?

    Prof. Schmidt: In erster Linie waren es die Staatshilfen, die dazu beigetragen haben, Liquiditätsengpässe bei Unternehmen abzumildern oder zu beseitigen. Auch die Modifizierungen der Insolvenzantragspflicht hatten einen Anteil an den niedrigen Fallzahlen.

    War die Ausnahmeregelung sinnvoll und erfolgreich? Schließlich schützt die Ausnahme zwar die Unternehmen, doch was ist mit den Gläubigern, also etwa den Lieferanten, die dann selbst in die Krise geraten?

    Prof. Schmidt: Die Regelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht war sinnvoll und richtig. Dies gilt insbesondere für die Regelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 1. Januar bis 30. April 2021 für Unternehmen, bei denen die Auszahlung der seit dem 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch ausstand oder weiterhin aussteht und die erlangbaren staatlichen Hilfen für die Beseitigung der Insolvenzreife ausreichend sind.

    Waren dagegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Antragspflicht nicht erfüllt, ist eine Berufung hierauf nicht möglich bzw. missbräuchlich. Ein insolventes Unternehmen, das die Insolvenzreife nicht beseitigen kann, muss unverzüglich ein gerichtliches Insolvenzverfahren einleiten, um gegebenenfalls in einem solchen Verfahren Sanierungschancen auszulosten. Tut es das nicht oder nicht rechtzeitig, werden Vertragspartner mit der Krise infiziert und gefährdet.

    Viele Unternehmen, vor allem im Handel und der Gastronomie, hoffen darauf, dass es bald wieder aufwärtsgeht. Für einige scheint es aber ein Wettrennen mit der Insolvenz zu werden. Wann müssen Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen?

    Prof. Schmidt: Haftungsbeschränkte Gesellschaften, wie die GmbH oder GmbH & Co. KG, bei denen keine natürliche Person als Vollhafter den Gläubigern zur Verfügung steht, müssen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich Insolvenzantrag stellen.

    Dementsprechend muss der Einzelunternehmer keinen Antrag stellen; er darf vielmehr einen Insolvenzantrag stellen; dies bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Wenn eine Antragspflicht besteht, muss der Antrag in der Regel unverzüglich gestellt werden, bei Zahlungsunfähigkeit längstens nach drei Wochen, bei Überschuldung längsten nach sechs Wochen.

    Zahlungsunfähigkeit liegt grundsätzlich dann vor, wenn das Unternehmen zehn Prozent oder mehr seiner fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht erfüllen kann. Der Insolvenzgrund der Überschuldung ist bereits dann gegeben, wenn das Aktivvermögen zu Zerschlagungswerten die Gesamtverbindlichkeiten nicht deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist überwiegend wahrscheinlich. Letzteres ist der Fall, wenn nach einer Liquiditätsprognose im Zwölfmonatszeitraum keine Zahlungsunfähigkeit eintreten wird. In Zweifelsfällen muss bei der Prüfung der Insolvenzreife professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

    Was droht mir als Geschäftsführer, wenn ich den Zeitpunkt verpasse?

    Prof. Schmidt: Der Geschäftsleiter eines antragspflichtigen Unternehmens darf nach Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich keine Zahlungen mehr leisten. Wenn er gegen dieses sogenannte Zahlungsverbot verstößt, haftet er unter anderem persönlich auf Erstattung der Zahlungen. Im Übrigen ist die Insolvenzantragspflicht strafbewehrt und kann weitergehende Schadensersatzpflichten auslösen.

    Viele Unternehmen sind vollkommen „unschuldig“ in eine missliche Lage gekommen. Ihr Unternehmen war vor der Pandemie gesund, die Geschäftsidee schlüssig und erfolgreich und dann mussten die Geschäfte schließen. Welche Chancen bieten sich in einer solchen Situation durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung?

    Prof. Schmidt: Trotz aller Befürchtungen kann die Einleitung eines Insolvenzverfahrens auch Chance sein, oftmals die einzige Chance ein vormals gesundes Unternehmen zu retten und am Markt zu erhalten. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Unternehmen in operativer Hinsicht gesund ist und pandemiebedingte Altlasten bestehen, die nicht mehr geschultert werden können. Eine zu späte Antragstellung vereitelt oftmals die Chance auf Sanierung im Insolvenzverfahren.

    Dies hat mit der Verfahrensart der Eigenverwaltung nichts zu tun. In der Eigenverwaltung wickelt der Unternehmer sein eigenes Unternehmen nach den Regeln des Insolvenzrechts ab, in der Regel mit einem Team von Sanierungsexperten in der Geschäftsführung und unter der Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters. Die Voraussetzungen für Eigenverwaltung wurden übrigens zum Jahreswechsel erheblich erschwert. Bei offenkundiger Insolvenzreife liegen die Voraussetzungen in der Regel nicht vor.

    Wenn es 2021 zu einer „großen Insolvenzwelle“ käme, wie sind Sie und Ihre Kollegen darauf vorbereitet? Bei den November- und Dezemberhilfen hatten Firmen beispielsweise Probleme, schnell einen Termin bei einem Steuerberater zu bekommen.

    Prof. Schmidt: Meine Kollegen und ich sind sehr gut auf einen Anstieg der Fallzahlen vorbereitet.

    © Quelle: Volksfreund Trier

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